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Von Grund auf 

2021
Büro für, Halle (Saale) 




Die mikroskopisch kleinen Kieselalgen produzieren so viel Sauerstoff, wie alle Wälder auf der Erde und ihre Ablagerungen können genaue Aufschlüsse über die klimatischen Verhältnisse vergangene Erdzeitalter geben. Die Schalen der Algen finden in vielen industriellen Verfahren Anwendung und in Kunst und Design beeinflussten ihre faszinierenden Formen ende des 19. Jahrhunderts maßgeblich den Jugendstil. Ich kultivierte Kieselal- gen, um sie später in einer Camera obscura zu belichten. Das von der Kamera erfasste Bild, zeigt einen Kieselgur-Brocken, ein aus fossilen Kieselalgen bestehendes Sediment. Da die lebenden Algen auf bestimmte Lichtintensitäten mit Bewegung reagieren, gelingt es ihnen, die Umrisse ihrer fossiler Vorfahren nach zu zeichnen. Die Kieselgur entsteht durch das Absinken der toten Al- gen auf den Grund eines Gewässers. Dabei können Pflanzen im Sediment eingeschlossen und konserviert werden. Diesen Prozess imitiere ich, indem ich heutige Kulturpflanzen mit Kieselsäure behandle und anschließend vergrabe. Mit der Zeit werden die organischen Bestandteile der Pflanzen zersetzt und die Objekte in der Zukunft zu Fossilien.

The microscopic diatoms produce as much oxygen as all the forests on earth and their deposits can provide precise information about the climatic conditions of past geological eras. The shells of the algae are used in many industrial processes and in art and design, their fascinating forms signi- ficantly influenced the Art Nouveau style at the end of the 19th century. I cultivated diatoms to expose them later in a camera obscura. The image captured by the camera, shows a chunk of diatomaceous earth, a sedi- ment composed of fossil diatoms. Because the living algae respond to certain light intensities with movement, they manage to trace the outlines of their fossil ancestors. Diatomaceous earth is formed when dead algae sink to the bottom of a body of water. In the process, plants can become trapped and preserved in the sediment. I imitate this process by treating today‘s crops with silica and then burying them. Over time, the organic components of the plants decompose and the objects become fossils in the future.


 
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Absorbieren

2021

45x60 cm

Color Inkjet Print 

 

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Reflektieren 

2021

10,5x15cm

Diatom Nitzschia palea, Glas  

 

Exhibition view, Von Grund auf, 2021, Büro für_, Halle (Saale) 

 

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Ausfällung

2021

13x18 cm

Color Inkjet Print 

 

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Brocken

2021

90x135 cm

Color Inkjet Print

 

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Abbild

2021

30x40cm

Color Inkjet Print 

 

Von der Autobahnabfahrt sind es nur noch wenige Minuten auf der Bundesstraße bis zu der unauffälligen Einfahrt des Tagebaus. Als ich auf den matschigen Weg abbiege und das Eisentor passiere, beginnen drei Wachhunde lautstark zu bellen. Ich parke das Auto und laufe auf den Mann zu, der mir aus einem Baucontainer entgegen kommt. Bei der Begrüßung erkenne ich seine Stimme. Wir hatten im Vorhinein telefoniert. Wir gehen den Weg hinunter und steigen in seinen VW Passat mit welchem wir 20 Meter weit fahren. Auf der linken Seite befindet sich eine volle Grube. Mit einer großen Pumpe und Stahlrohren wird das Grundwasser aus ihr in eine andere, alte Grube befördert. Die Grube ist, will man es in der gängigen Einheit von Fußballfeldern ausdrücken, etwa ein halbes Fußballfeld groß. An den Rändern ist etwas grünlich die Kieselgur zu sehen. Auf den ersten Blick sieht sie aus wie mit Moos bewachsener Sandstein. Altes Springkraut, ein Erdwall und Kiefernäste versperren uns jedoch den Weg. Wir fahren weiter zu einer anderen, schon ausgehobenen Grube. Vor ungefähr 340 000 Jahren, so erklärt er mir, befand sich an dieser Stelle ein 1500 m x 500 m großer See. Am Rand der Grube ist die Kieselgurschicht nur einige Zentimeter tief unter der Erdoberfläche gelegen. Zur Mitte hin werden die Schichten bis zu sieben Meter stark. Die Kieselgur ist hier in ihren typischen drei Farben angeordnet. Die jüngste, Weiße Gur, ist die oberste und kleinste Schicht. Sie beinhaltet nur drei bis fünf Prozent organischer Bestandteile und ist damit fast reines amorphes Siliziumdioxid. Unterhalb davon liegt die Graue Gur, welche zehn Prozent organische Anteile enthält. Die unterste und hier größte Schicht ist die Grüne Gur. Diese lag auf der Höhe des Grundwasserspiegels und enthält fossile Tiere und Pflanzen. Häufig sind in ihr Blätter oder Nüsse zu finden, welche bei der Entstehung der Kieselgur in den See fielen und durch den hohen Anteil von Kieselsäure konserviert wurden. Der Anteil organischen Materials liegt bei der Grünen Gur bei etwa 35 Prozent. Seit 1925 wird in Klieken Kieselgur abgebaut. Der Tagebau in welchem wir uns be- finden existiert seit der sogenannten Wende, seit ca. 1990. Noch eine Grube würde ausgehoben, dann seien die Kieselgurvorkommen vermutlich erschöpft, sagt er. Wir fahren wieder zum Eingang und betreten eine mit Wellblech verkleidete Halle. Lachend zeigt er auf eine etwa fünf Meter lange und mit Dämmung umwickelte Röhre und erklärt mir, das dies keine Kurzstreckenrakete sondern der Brennofen sei. Die feuchte Kieselgur wird darin getrocknet und anschließend bei um die 800°C gebrannt, wodurch die organischen Bestandteile entfernt werden. Anschließend wird sie in große Säcke gefüllt. Brennofen, Abfüllanlage und Förderbänder wurden aus vielen Einzelteilen selbst konstruiert. In den vergangenen Jahren sind die Absätze des Familienunternehmens immer mehr gesunken. Grund dafür ist zum einen die Verlagerung der Metallindustrie nach China sowie der Kohleausstieg. Die Kieselgur aus Klieken wurde unter anderem aufgrund der niedrigen Wärmeleitfähigkeit zur Konstruktion von Ziegelsteinen benutzt, womit die Brennräume der Kohlekraftwerke ausgekleidet wurden. Neben Kieselgur verkauft das kleine Unternehmen noch geringe Mengen Kies und Sand. Außer ein paar experimentierfreudigen Bauern, die einmal jährlich in ihre Kornspeicher Kieselgur einbringen um Ungeziefer zu bekämpfen, ist dieses außergewöhnli- che Sediment nur noch wenig gefragt.

Zum Abschied schenkt er mir einen Brocken der Weißen Gur. Als ich sie in den Händen halte bin ich von der Leichtigkeit des Materials überrascht. Sie zerbröselt beim Anfassen und hinterlässt auf meiner Kleidung weißen Staub der in seinem Aussehen und seiner Beschaffenheit mit weißer Kreide zu vergleichen ist.

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Exhibition view, Von Grund auf, 2021, Büro für_, Halle (Saale) 

 

Tagebau

2021

21x29,7 cm

Text

 

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Vergrabung zukünftiger Fossilien. 1 Kg. Kalifornische Walnüsse, Fichtenholzbalken, Zierrose, Stück Apfelbaum, Dachlatte
2021

5 Color Inkjet-Prints, Baryta 20x30 cm

 

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Glitzer

2021

7x7x2 cm

Synthetisch hergestellter Opal 

 

Überreste

2021

8 Gläser mit Kieselalge und Grünalge, analoger sound 

 

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Zukünftiges Fossil

2021

13x12x13 cm

Natronsilicat, Kokosnuss 

 

 

 

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